Der Akku deines Handys zeigt an, dass er im roten Bereich ist. Du musst dein Handy also möglichst bald aufladen, sonst geht es aus. Da Sonnenenergie richtig Power hat, legst du es also im Garten ins Gras, da wo die Sonnenstrahlen am besten hinkommen. Und wartest. Nach einer Weile hast du ein sehr warmes Gerät in der Hand, welches aber leider inzwischen nur noch 2% Ladung hat oder sogar aus gegangen ist.
OK, das würdest du wohl wahrscheinlich nicht machen und natürlich wäre das eine dumme Idee.
Ich habe dieses Bild nur deshalb gewählt, um zu verdeutlichen, wie die Tipps zur Freizeitgestaltung und Erholung von eher extrovertierten Menschen bei introvertierten ankommen. Sie nützen ihnen schlicht nichts oder verschlimmern ihren Energiezustand.
Introvertierte Personen müssen sich hin und wieder zurückziehen und Zeit bekommen, sich in Ruhe aufzuladen. Am besten funktioniert das, wenn man dann nichts weiter von ihnen will und nicht noch "mal eben" was von ihnen abverlangt.
Wie oft dieses Aufladen passieren muss und wie lange es dauert, ist ganz individuell. Ähnlich wie einige Handys ständig aufgeladen werden müssen und dafür lange brauchen und andere nur mal eben einen Moment benötigen und dann geht es wieder.
Introvertierte Menschen brauchen den Rückzug, können sich dann viel besser und länger konzentrieren und bringen dann auch viel bessere Leistungen und fühlen sich vor allem wohler.
Sie neigen dazu, sehr gründlich über Probleme nachzudenken und anderen Menschen gut und intensiv zuzuhören.
In einer Gruppe, am schlimmsten auch noch fremden Leuten, herumzustehen und Smaltalk betreiben zu müssen, um mal alle besser kennenzulernen oder "eine gute Zeit zu haben" liegt ihnen gar nicht oder strengt sie sehr an.
Es stimmt aber nicht, dass Introvertierte andere Menschen nicht mögen oder ihre Gesellschaft nicht genießen würden. Sie sind sehr wohl zu Freundschaften fähig und empfinden tiefe Zuneigung und können diese auch zeigen- wenn die Situation für sie stimmt.
Oft reicht ihnen eine kleinere Anzahl von befreundeten Personen, mit denen sie dann aber sehr intensiven Kontakt haben.
In vielen Berufen geht es darum, möglichst gesellig zu sein, Kontakte zu knüpfen, sich schnell auf andere Menschen einzulassen oder mit ihnen eng zusammen zu arbeiten. Jemand, der dann auch noch seine Ergebnisse vor einer Gruppe von Menschen präsentieren mag, wird als engagiert und intelligent beurteilt.
Unser Bild von einem psychisch gesunden, beliebten Menschen zeigt ihn oft lachend von anderen Menschen umringt, in der Mitte stehend, die Aufmerksamkeit auf sich ziehend. Jemand, der sich nach seiner Arbeit, wenn er acht Stunden oder länger mit anderen in einem Raum war und sich ausgetauscht hat, gleich im Anschluss noch mit Freunden trifft und etwas unternimmt. So eine Person beurteilen wir als jemanden, der hohe Beliebtheitswerte hat. Wenn bei der Geburtstagsparty gar nicht genug Platz für alle ist.
Wenn introvertierte Menschen diese Bilder im Kopf haben oder sie ihnen in der Werbung, Social Media oder Filmen begegnen, werden sie immer das Gefühl haben, dass etwas entscheidendes mit ihnen nicht stimmt. Und je mehr sie sich Mühe geben, dem zu entsprechen, desto erschöpfter und unglücklicher werden sie sich fühlen.
Dabei sind sie einfach so konstruiert, dass ihr Gehirn sich, nachdem es sich mit Eindrücken vollgesogen hat, diese Eindrücke ordnen, verarbeiten und einsortieren muss.
Introvertierte Menschen kommen übrigens auf kreativere Lösungen, wenn man sie lange genug nachdenken lässt.
Wenn du ein introvertierter Mensch bist: Du bist genau so richtig, wie du bist. Achte auf deine Bedürfnisse. Wenn du es ätzend findest und dich total stresst, wenn alle aufstehen und ein Geburtstagsständchen für dich singen, dann ist das für eine in sich gekehrte Person völlig normal. Feiere deinen Geburtstag genau so wie es gut für dich ist. Oder feiere ihn gar nicht. Es ist dein Tag und du solltest dich damit wohlfühlen.
Extrovertierte werden trotzdem, weil sie dich richtig gerne haben, eine Überraschungsparty für dich planen. Überlegen, wie man dir mal etwas Gutes tun kann, etwas, was dich freut. Sie werden dich hartnäckig einladen, irgendwo mit dabei zu sein. Sie möchten dich mit einbeziehen, denn sie können sich gar nicht vorstellen, dass es schön und erholsam sein kann, ganz allein Zuhause zu sitzen und nur seinen eigenen Gedanken zuzuhören.
Das entspricht einfach nicht unserem gesellschaftlichen Bild von einem glücklichen, sozial eingebundenen Menschen.
Extrovertierte möchten in ihrer Freizeit etwas erleben, sie sind begeistert, Neues zu sehen, mit fremden Menschen in Kontakt zu kommen. Sie brauchen das, um sich wohl zu fühlen. Einen Geburtstag allein mit einem guten Buch auf dem Sofa verbringen zu müssen, würde sie sehr unglücklich machen.
Sie tanken ihre Energie vom Zusammensein mit anderen.
Und das ist gut so, dass sie so sind.
Extrovertierte können ihre Gefühle aktiv ausdrücken, nicht nur verbal, sondern auch mimisch, gestisch und oft enthusiastisch, sie machen es anderen leicht, sie einzuschätzen und bringen Menschen zusammen.
Daran ist gar nichts falsch.
Ich glaube, es wäre viel für das gegenseitige Verständnis untereinander getan, wenn sich Extrovertierte, wenn sie einen introvertierten Menschen mal mit ins Boot (oder die Party) holen wollen, überlegen, dass dies für diesen so attraktiv sein kann wie wenn sie selber ein Wochenende in eine stille Kammer gesperrt werden würden.
Oder dass dieser die Party sogar gut findet, Spaß hat, aber dann relativ schnell wieder geht, weil ihm die Dosis an Geselligkeit schon reicht.
Die wenigsten von uns werden total extrovertiert oder total introvertiert sein. Die meisten sind irgendwo im Spektrum zwischen den Extremen.
Aber es ist gut zu wissen, was man so braucht und diesen Bedürfnissen nachzugehen.
Und zu wissen, dass man so richtig ist, wie man eben ist.