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Ist das noch Liebe oder kann das schon weg?

"Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage."

 

So enden Märchen und vor unserem geistigen Auge sehen wir die wunderschöne Prinzessin mit ihrem mutigen Prinz davon reiten. Etliche Hollywoodfilme vermitteln uns die gleiche Botschaft. 

 

Und so setzt sich in unserem Kopf fest, dass wir nur den richtigen Menschen für uns finden müssen und schon erfahren wir eine erfüllende und uns komplett glücklich machende Liebe und zwar nicht als kurzen Moment, sondern für IMMER.

Und wenn uns der andere Mensch nicht komplett glücklich und zwar IMMERZU macht, dann war es wohl der falsche. 

Diese Vorstellung bezieht sich nicht nur auf heterosexuelle Partnerschaften, sondern ist als "Bild von der wahren Liebe" in uns eingebrannt. Wenn es nur der RICHTIGE Mensch ist, dann werden wir glücklich sein. 

 

Wir wissen so viel über die Liebe.

 

Dass Pheromone eine entscheidende Rolle spielen, wir jemanden mit einem unterschiedlichen Immunsystem attraktiver finden und warum das biologisch ein Vorteil ist, dass heterosexuelle  Frauen an fruchtbaren Tagen Männer mit kantigerem Kinn bevorzugen und danach nicht mehr, dass wir in der Verliebtheitsphase überflutet von Dopamin in einem wahnähnlichen, nicht zurechnungsfähigen Zustand wie im Drogenrausch herumlaufen, welches das Kuschelhormon ist (Oxytocin) und welche Funktion es hat und mit uns macht und dass das bei Männern und Frauen unterschiedlich sein kann. 

 

Ebenso stehen uns tausend Ratgeberbücher für glückliche Beziehungen zur Verfügung, die uns abwechselnd raten, uns vor allem selbst zu lieben bis zu guten Tipps, wie man sein Liebesleben wieder in Schwung bringen kann, auch wenn der Job stresst, die Kinder krank sind und die Raten für die Immobilie einen zu verschlucken drohen. 

 

Wir lesen Interviews von sehr alten Menschen, die ihr Leben mit einer Person verbracht haben und dabei zufrieden zu sein scheinen und versuchen uns ein paar Tipps zu erhaschen, die meist Sätze wie "früher hat man sich nicht so schnell getrennt", "der andere ist halt so" beinhalten, was aus heutiger Perspektive etwas mager als Hinweis für die eigene Lebensgestaltung erscheint. 

 

Und irgendwie hilft uns dieses ganze Wissen oft nicht weiter, um glücklich zu sein. 

 

Welche Erkenntnisse helfen uns denn aber nun, unsere Beziehungen gut zu gestalten und vielleicht sogar zu retten?

 

1. Erkenntnis: Glücklich bis ans Ende ihrer Tage ist evolutionärer Quatsch. Wir Menschen sind so konstruiert worden, dass wir alles danach ausrichten zu überleben. Kein Steinzeitvorfahr hatte den Luxus darüber nachzudenken und Pläne zu schmieden, wie er in zehn Jahren sein Leben gestalten möchte. Er war voll und ganz damit beschäftigt im Jetzt sein Überleben zu sichern. 

Deswegen werden wir auch bei so Sachen wie intuitivem Essen immer schlechte Entscheidungen treffen. Intuitiv wählen wir das, was uns grade das größte Lustpotential verspricht, nicht das, was uns langfristig gesund erhält. Aber zurück zum glücklichen Leben: Wir sind nicht dafür konstruiert worden, um ständig glücklich zu sein. Eigentlich überhaupt nicht, um glücklich zu sein, sondern um zu überleben und das geht auch unglücklich. Sich glücklich fühlen war ein kurzes Belohnungszucken unseres Gehirns für gute Überlebensentscheidungen: Sich aufwärmen, kalorienhaltige Nahrung, sich fortpflanzen, all so was, damit wir lernen, so was zu wiederholen. 

 

Kein Mensch, kein Job, keine Substanz, keine Umgebung... wird im Stande sein, diesen Zustand dauerhaft in uns auszulösen. 

Natürlich können uns die Menschen, die wir lieben, glücklich machen. Sehr sogar. Diese Momente sollten wir genießen und uns entspannen, wenn danach dann wieder ein Alltagsgefühl das Hochgefühl ablöst. 

 

2. Erkenntnis: Wir sollten unseren Lieblingsmenschen mögen. So grundsätzlich. Wenn wir irgendwann feststellen, dass wir mit jemandem zusammenleben, bei dem wir jede Stunde, die wir nicht mit ihm verbringen müssen, herbeisehnen, dann läuft alles schief.

Jemanden lieben und mögen ist nicht unbedingt dasselbe. Wenn wir jemanden lieben, dann haben wir oft viele Ansprüche an ihn, die dieser Mensch erfüllen soll, weil die Sehnsucht und das Begehren und die Hoffnung auf etwas so groß ist. Wenn wir jemanden mögen, dann akzeptieren wir ihn so wie er ist. Und so wie dieser Mensch eben ist mögen wir ihn. 

 

Das heißt nicht, dass man nicht auch gerne mal allein ist. Aber so grundsätzlich sollte es ein positives Gefühl in uns auslösen, wenn wir an den anderen Menschen denken. 

 

Und jetzt spreche ich einen heiklen, aber wichtigen Aspekt an: jede Beziehung ist am Ende, wenn wir anfangen, uns vor dem anderen zu ekeln. Ekel ist ein ganz starkes Warn- und Schutzgefühl und das werden wir nicht dauerhaft "in den Griff bekommen". Es gibt dafür sogar einen Begriff "Sudden Repulsion Syndrom", das beschreibt den Ekel vor einem Menschen, in den man mal verliebt war. Das kann plötzlich auftreten oder auch schleichend. In dem zweiten Fall MUSS man das sofort ansprechen, egal wie unangenehm das ist. Oft wird dieses Thema als so tabuisiert und schamhaft empfunden, dass andere Gründe vorgeschoben werden, warum man nicht mehr mit dem anderen zusammen sein will.

 

3. Erkenntnis: Wir sollten die Gefahren des Alltaglebens nicht unterschätzen: In Ausnahmesituationen, ob gute oder schlechte, werden wir zusammengeschweißt. Katastrophen bringen uns ins Bewusstsein, wie sehr wir den anderen vermissen würden, wenn er nicht mehr da wäre. Auch absolute Glücksereignisse zusammen zu erleben kann etwas sehr verbindendes sein. 

 

Aber die meiste Zeit verbringen wir nicht in Extremsituationen. 

 

Und unser Urzeitgehirn hat nicht damit gerechnet, dass es mal den Alltag mit Müll rausbringen, Fenster putzen und Überstunden mit Kinderbetreuung organisiert bekommen hinbekommen muss. Das Abends ein Überangebot an Streamingdiensten zur Unterhaltung offeriert, deren Auswahl auch schon zu Konflikten führen kann. 

 

Es ist darauf ausgerichtet, reale Gefahren zu erkennen und wenn keine da sind, dann sucht es sich welche. 


Also löst die berühmte Zahnpastatube, die falsch ausgedrückt oder nicht zugedreht wurde, der Dreck, den jemand von draußen mitbringt und die stehengelassene Teetasse regelrecht Hassgefühle aus. Es fühlt sich an wie ein Angriff auf unsere Unversehrtheit. Nein, natürlich ist das kein Angriff auf uns, aber es fühlt sich halt in Ermangelung anderer Gefahren so an.

 

In Zeiten echter Bedrohungen und Katastrophen wird sowas kaum registriert, weil das Gehirn sich mit ganz anderen Dingen beschäftigen muss. Aber im etwas langweiligen Alltag erscheint es als eine Unmöglichkeit, jemanden, der so etwas tut, um sich zu haben. 

Weil unser Gehirn einfach den Gefahrenmodus nicht abschalten kann und sich in Ermangelung von Bedrohungen welche sucht. 

Daher birgt also ein ganz normales Alltagsleben an sich schon Probleme für eine Beziehung, über die man nie nachdenkt. (Weil man sich ja auch im Recht fühlt, dass diese Sachen UNERTRÄGLICH sind.)

Wenn die betroffene Person dann Abends wirklich nicht mehr nach Hause kommt, weil sie einen Unfall hatte, ist die Zahnpastatube meist sofort vergessen. 

 

Sich das bewusst zu machen, minimiert schon den Effekt.

 

4, Erkenntnis: Der Zauber der ersten Zeit kommt so nicht mehr zurück. Wenn man gemeinsam ein Projekt startet oder ein kleines Abenteuer erlebt, kann das aber wieder etwas davon zurückbringen. Was aber wirklich die Todsünde schlechthin in Beziehungen ist, ist sich als selbstverständlich hinzunehmen.

In einer Doku auf ARTE wurde ein Mann, der sehr viele Affären hatte, in einem Interview gefragt, was denn seine Verführungskünste seien und die etwas deprimierende Antwort war: Am einfachsten ist es mit verheirateten Frauen. Denen muss man nur mal zuhören und ihnen etwas Aufmerksamkeit schenken. Ihnen mal was Nettes sagen. Die sind alle emotional völlig ausgedörrt was solche Dinge angeht. 

Das mag auf keinen Fall (!!!) pauschal für alle verheirateten Frauen gelten, aber der Hinweis ist klar: Jeder Mensch, geschlechtsunabhängig versteht sich, möchte wahrgenommen werden. Möchte jemanden, der einem zugewandt und aufmerksam zuhört, der emotional teilnimmt. Damit ist nicht gemeint, dass man jemandem ein paar Ratschläge hinballert, die sich fast wie ein Vorwurf nach dem Motto Da bist du nicht von allein draufgekommen? anhören. Da ist es gut, sich an die Anfangszeit zu erinnern, als man gar nicht genug vom anderen erfahren konnte und ihm ungeteilte Aufmerksamkeit geschenkt hat. Warum sollte man sich das nur für die Anfangszeit reservieren? Ein paar Momente in der Woche  mit "Herzensgesprächen", die man sich nimmt, reichen aus. Vielleicht sogar EIN Moment pro Woche, in der man dem anderen ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt, kann Wunder bewirken.

Warum sich nicht mal wieder wie früher an den Händen halten, sich in die Augen gucken und sich wirklich für das, was den anderen bewegt, ungeteilt zu interessieren oder auch einfach bewusst etwas Schönes miteinander machen, eben so wie am Anfang. Da fand man das doch so wunderbar, warum sollte das jetzt nicht mehr schön sein?

Manche Paare reservieren sich dafür extra Zeit, damit es nicht im Alltags- "ja, sollten wir mal machen, aber später" und "Warum, wir sind doch sowieso ständig zusammen"- Trott untergeht.

Versuche es mal, du wirst verblüfft sein. Und wenn das nichts für euch ist, lasst es wieder und lacht über diesen blöden Vorschlag... denn das führt uns zur Erkenntnis Nummer 5:

 

5. Erkenntnis: Humor ist wichtig. Wer es schafft, über sich und Situationen gemeinsam zu lachen, hat schon gewonnen.

Sich über den anderen lustig zu machen, am besten noch in der Öffentlichkeit, ist selbstverständlich nicht damit gemeint und hat den genau gegenteiligen Effekt.  Das findet übrigens nicht nur der betroffene Mensch, sondern auch alle, die das mitbekommen, extrem unsympathisch. 

 

Oft hilft es auch, um die Beziehung zu verbessern, sich daran zu erinnern, welche Eigenschaften man beim anderen mal anziehend fand und ohnehin immer wieder aktiv den Fokus auf die positiven Dinge beim anderen zu richten. 

 

6. Erkenntnis: Das Gras ist woanders immer grüner

 

Frage: Warum finden wir in Deutschland es aufregend und interessant, auf Hawaii (oder Kenia, Korea...egal, Hauptsache, es ist weiter weg) Urlaub zu machen?

 

Antwort: Weil wir nicht auf Hawaii (Kenia, Korea...egal...) wohnen. Für Menschen, die auf Hawaii leben, ist das keine so besondere Sache. Aber eine Reise in die bayrischen Alpen oder nach Amrum wäre eine Erzählung wert. 

 

Wir finden einfach das, was um uns ist, nicht so besonders aufregend. Alles, was nicht viel Aufwand bedeutet oder leicht zu erreichen ist, hat keinen so großen Wert für uns. Würden wir alle einen Doktortitel geschenkt bekommen, wäre dieser wertlos. Aber viele Jahre darauf hinzuarbeiten, unzählige Stunden dafür zu arbeiten und gefühlt bis dahin tausend, teilweise schwierige Prüfungen ablegen zu müssen, macht es zu etwas Wichtigem. 

Wenn wir uns in einer Beziehung sicher und geboren fühlen, ist das toll. Dann leben wir sozusagen auf Hawaii. Auch wenn wir nicht mehr aufwendig über Stunden hinfliegen müssen. Die Schönheit und die Besonderheit, dort zu sein, sollten wir nicht vergessen, wenn plötzlich die unerreichbareren Orte dieser Welt einen unwiderstehlichen, exotischen Zauber auszulösen scheinen. 

 

 

Ob man besser möglichst viel Zeit miteinander verbringen will oder am besten gar nicht zusammenwohnt, welche Rituale man miteinander entwickelt, welche Regeln man aufstellt, welche Konfliktlösungsmöglichkeiten man findet, all das kann völlig unterschiedlich sein und muss nur für die, die es betrifft, passen. Andere können sich darüber gar kein Urteil erlauben und sollten es auch nicht. Wenn es für diese Menschen funktioniert, sollte man sich für sie freuen, selbst wenn man selber für sich diesen Lebensentwurf nicht wählen würde. 

Die Liebe ist kompliziert genug, macht es anderen nicht noch schwerer als nötig mit blöden Bemerkungen oder sozialem Druck.

 

Als Fazit könnte ich zusammenfassen:

 

- Bleib mit deinen Erwartungen bei dem, was realistisch ist

- Erlebt außer dem Alltag auch mal wieder ein kleines Abenteuer zusammen

- Wertschätze deinen Alltag

- Schenkt euch hin und wieder ungeteilte, zugewandte Aufmerksamkeit

- Sprecht Dinge, die euch stören, rechtzeitig an, auch wenn´s unangenehm scheint

- Erinnere dich immer wieder bewusst an die positiven Eigenschaften, die der andere hat

 

Wenn du nach dem Lesen dieses Artikels feststellst, dass du eigentlich erstaunlich glücklich in deiner Beziehung bist, obwohl so vieles eigentlich dagegen spricht, glücklich zu sein, dann wäre doch viel gewonnen. 

 

Und sag demjenigen, der dir viel bedeutet, dass es so ist. Warte nicht ab, bis derjenige gegangen ist (auf welche Art und Weise auch immer), dann passiert das zwar oft und tränenreich und reuevoll, ist dann aber meist zu spät.

 

Es wäre schön, wenn dieser Artikel helfen könnte, das zu verhindern.