Während der Präsidentschaft von Donald Trump waren weltweit jede Menge Diagnosen zu seiner psychischen Veranlagung zu lesen. Er wäre narzisstisch, hätte eine antisoziale Persönlichkeitsstörung, hätte eine Borderline- Problematik, andere wussten zu berichten, dass sich bei Männern depressive Erkrankungen ja oft in aggressivem Verhalten äußern und er daher wohl in Richtung bipolar gehen würde.
Als dann zum Glück genauso schnell kritisiert wurde, dass eine Ferndiagnose immer problematisch und zudem total unprofessionell ist, wurde die Flut der Meldungen etwas weniger, aber trotzdem ist bei vielen der Zusammenhang Trump= Narzisst hängen geblieben.
Wenn man etwas nachdenkt, ist schnell klar, dass es absurd ist, mal eben über den Atlantik hinweg aufgrund von ein paar Zeitungsartikeln und Berichten so etwas wie eine komplexe Fachdiagnose hinzubekommen. Trotzdem hat aber in den letzten Jahren das Phänomen, jeden Menschen, mit dem man nicht so gut klarkommt, ein psychisches Label anzuhängen, massiv zugenommen.
Warum die ganzen Alltags- und Hobbydiagnosen?
Da ist vielleicht der Mensch, der das eigene Ego gekränkt hat, in dem er Desinteresse signalisiert hat, und schon hat der halt "autistische Züge", warum sonst würde der sich nicht drei Stunden mit mir unterhalten wollen?
Man weiß es sogar GANZ genau und kennt sich aus, dieser Mensch ist bestimmt ein Asperger- Autist, (vielleicht die aktuelle Modediagnose schlechthin) die allen introvertierten und etwas sachlicher denkenden Personen gerne sehr flott bescheinigt wird. Der ist dann ja zu Empathie gar nicht fähig! (Übrigens Blödsinnn, Aspergerautisten haben tatsächlich Schwierigkeiten, die emotionale Verfassung ihres Gegenübers zu deuten, wenn sie aber mitbekommen, dass jemand traurig ist, können sie absolut Mitgefühl empfinden...oder auch nicht, so wie eben Nicht- Autisten da auch unterschiedlich sind.)
Davor waren alle hochsensibel, die ein Essen besonders gut abschmecken konnten.
Alle borderlinegestört, weil sie eine Beziehung nicht gut hinbekommen haben.
Das kann natürlich alles zutreffen, muss es aber nicht!!!!! Es gibt so viele Gründe für Verhalten wie Körner am Sandstrand.
Erstens ist es richtig gut, dass über psychische Krankheiten immer offener gesprochen wird. Das muss viel mehr enttabuisiert werden.
Andererseits helfen die vielen einfach so dahin gesagten "Diagnosen" auch für ganz alltägliches Verhalten den wirklich Betroffenen nicht mehr in ihrer Besonderheit ernstgenommen zu werden und wirklich die Unterstützung zu bekommen, die sie benötigen.
Und um sie geht es, sie müssen ernst genommen werden.
Sowohl medizinische als auch psychologische Diagnosen sollten daher immer nur von ausgebildeten Fachleuten (die dafür viele Jahre Ausbildung mit Prüfungen hinter sich haben- aus gutem Grund! und sie liegen immer noch oft falsch) gestellt werden. Am besten im Einverständnis mit den Betroffenen.
Und sie sollten nur einen Zweck haben: Herauszufinden, wie die bestmögliche Therapie aussehen könnte, damit effektiv geholfen werden kann.
(Ich lass mal die notwendigen Diagnosen im forensischen Bereich außer Acht, ok? Da sind Diagnosen natürlich aus einem anderen Grund notwendig.)
Ja, es ist notwendig, dass ein Arzt herausfindet, ob die Bauchschmerzen von einem entzündeten Blinddarm oder einer Gallenkolik kommen, damit das richtig behandelt werden kann.
Aber manchmal gehen wir mit Rückenschmerzen zu drei unterschiedlichen Medizinern und bekommen drei unterschiedliche Diagnosen. Und vielleicht von allen die falsche.
Richtig zu diagnostizieren ist mitunter kompliziert.
Bei psychologischen Diagnosen ist das genauso. Nicht alles ist so eindeutig wie ein entzündeter Blinddarm.
Und nach der Diagnose, nehmen wir mal an, sie wurde richtig gestellt, möchte ich dir folgenden Gedanken mitgeben:
Stell dir vor, ein Außerirdischer käme auf die Erde und würde etwas über Menschen herausfinden wollen.
Er trifft jemanden. Der mag gerne Heumilchkäse und trägt eine Brille.
Jetzt ist für den Alien klar: Ich weiß Bescheid! ALLE Menschen tragen Brillen und essen gerne Käse.
Das wäre eine falsche Schlussfolgerung, oder? Sogar eine total falsche, obwohl es durchaus unter uns etliche Brillenträger geben mag, die Käse mögen.
Und so ist es auch mit Menschen, die die gleiche Diagnose haben: Es gibt autistische, depressive, traumatisierte Menschen, die richtigerweise dieselbe Diagnose haben, aber völlig unterschiedlich in ihrem Verhalten, Fühlen, Denken und Aktionen sind.
Und daran, eine psychische Beeinträchtigung zu haben, ist in der Regel gar nichts schick.
Von massivem Leiden bis zum Gefühl, dass man einfach nicht in die Welt der anderen, die nach gewissen Spielregeln funktioniert, hereinpasst, ist alles dabei.
Ich unternehme den Versuch, das an einem Beispiel zu erklären, wie zum Beispiel die Welt für einen Aspergerautisten aussehen mag, wobei mir klar ist, dass ich das als Nicht-Betroffene nur recht unzulänglich tun kann:
Stell dir vor, alle anderen schreiben sich Botschaften in koreanischen Schriftzeichen auf und du weißt, dass das eine Sprache ist und irgendwas bedeutet, aber du hast keine Idee, was... während alle anderen das mühelos lesen können - so ausgeschlossen fühlen sich manche Betroffenen wohl in Alltagssituationen.
Es ist gut für alle zu wissen, dass sie das nicht lesen können, dann kann man es ihnen in ihrer Sprache erklären. Dafür sind Diagnosen gut und wichtig.
Ansonsten muss man aufpassen, dass die einzelnen Individuen nicht dahinter verschwinden.
Dann sind Diagnosen schädlich.
Die Menschen, die die Schriftzeichen sehr wohl verstehen können, sich aber trotzdem nicht verstanden fühlen in dem, was sie sagen wollten, sind die "normalen" Menschen mit Problemen.
Sie fühlen sich wahrscheinlich auch ausgeschlossen. Aber auf eine andere Art und Weise.
Denn die Schrift gar nicht lesen können, ist noch was ganz anderes.
Jemand, der depressiv ist, ist nicht einfach nur mal schlecht drauf.
Und jeder Mensch, der noch nie depressiv war, wird nicht wirklich nachvollziehen können, in welcher Hölle sich ein Depressiver befindet.
Sich an einem Tag mit mieser Laune als depressiv zu bezeichnen, entwertet das Leiden von wirklich Erkrankten ab.
Und, nur weil dir ein Kuchen verunglückt ist, hast du noch kein traumatisches Ereignis erlebt.
Wenn das das schrecklichste ist, was du in deinem Leben bisher erlebt hast, dann bist du gut dran (und ich freue mich ehrlich mit dir darüber!).
Wir sollten mehr offen über psychische Krankheiten sprechen. Aber wir sollten psychisch Kranken mehr Respekt entgegenbringen, in dem wir sorgfältiger mit unserer Sprache umgehen.