Du siehst, wie grade ein Kleinkind dabei ist, einen Topf mit kochendem Wasser vom Herd zu sich runter zu ziehen... und reagierst sofort, indem du den Topf festhältst und das Kind dort weg holst.
Und das ist natürlich hundertprozentig richtig. Mir würde für diese Situation keine andere vernünftige Lösung einfallen. Es wäre ziemlich blödsinnig in dem Moment zu sagen: Ich vertraue schon darauf, dass du die richtigen Entscheidungen triffst und außerdem solltest du deine eigenen Erfahrungen machen.
Was bei dem Kleinkind und dem kochenden Wasser eine gute Maßnahme ist, erscheint uns aber sehr oft auch im Umgang mit erwachsenen Personen und anderen Situationen als Spitzenidee.
Jemand hat ein Problem und schildert es uns- und wir mischen uns beherzt ein und wissen, was zu tun ist. Das fassen wir in einer Handlungsanweisung für ihn zusammen, untermalen es noch mit einem eigenen, ähnlich gelagerten Ereignis und lehnen uns zurück.
Feiern uns innerlich ein wenig, weil wir demjenigen geholfen haben, sein Problem zu lösen.
Und sind irritiert oder sogar verärgert, weil dieser Mensch die tollen Ratschläge, die wir ihm gegeben haben, nicht beherzigt.
Finden, dass ihm dann auch nicht mehr zu helfen ist.
Hast du so etwas schon mal erlebt?
Erstens: Du hast es gut gemeint und wolltest helfen. Das ist richtig und lobenswert.
Aber dieser erwachsene Mensch ist kein Kleinkind, dem die Übersicht über die Situation fehlt. Er hat einen Packen eigener Erfahrungen, hat seine eigenen Ziele vor Augen, Wünsche im Herzen... und in all dem unterscheidet er sich von dir.
Und wenn er ein Problem hat, dann spielt das für die Lösung eine Rolle.
Es kann sogar sein, dass diese Person ihr Problem schon lange mit sich herumträgt und ganz fest hält. Wäre sie es los, gäbe es da zunächst einmal nur Leere und das könnte sie kaum ertragen. (In manchem Fall hat das Problem sogar einen Namen und zwei Beine und eine Trennung ist nicht soooo einfach...)
Oder das was du damals in deiner Problemlage so locker umsetzen konntest, traut sich dieser Mensch überhaupt nicht zu.
Ratschläge seien auch Schläge, heißt es oft.
Ich mag diesen Satz nicht, denn er unterstellt dem Ratgeber, dass er es auf irgendeine Art und Weise nicht gut meinen würde. (Wenn ich jemanden schlage, dann meine ich es einfach NICHT gut mit
ihm.)
Ja, es kann so sein, dass der andere sich nicht verstanden fühlt oder ein mieses Gefühl bekommt, was für ein Versager er doch ist, dass er sein Problem nicht so locker gelöst bekommt.
Aber ein Schlag ist das wohl nicht.
Außerdem kommt das Wort Ratschlag davon, dass man den "Kreis für die Beratung geschlagen hat", in dem man vor einer Versammlung festgelegt hat, welche Personen teilnehmen durften, zum Beispiel der Gemeinderat oder so. Ein Ratschlag war also eine Formalie, keine aggressive Handlung.
Wie könntest du nun aber vorgehen, wenn dir jemand ein Problem schildert? Darf man gar nichts von sich erzählen, um den anderen nicht klein zu machen???
Nun, da du HOFFENTLICH in privaten Gesprächen oder auch in Arbeitsbeziehungen, sofern du keinen psychologischen Beruf hast, möglichst unverkrampft und in einer gleichwertigen Beziehung mit anderen redest, darfst du auf jeden Fall auch deine Erfahrungen schildern. So funktionieren Beziehungen. Jeder darf seine Erlebnisse und Erfahrungen schildern. Durch diesen Austausch war es möglich, dass unsere Urahnen Schlimmes verhindern konnten und nicht selber ausprobieren mussten.
Wir sind ja in der Lage am Modell und Vorbild von anderen zu lernen. Und knüpfen Beziehungen und bilden Freundschaften dadurch, dass wir unsere Erfahrungen austauschen.
Aber es hilft dem anderen sehr, wenn du klarmachst, dass du nur deine Erfahrungen anbietest und dies für dich so funktioniert hat, die Lösung des anderen aber anders aussehen kann und du das respektierst.
Und dann kannst du deinem Gegenüber durch Fragen und geduldigem Zuhören helfen, für sich herauszufinden, was eigentlich los ist und wie eine Lösung aussehen könnte.
Unterschätze niemals, wie wichtig es ist, wenn jemand in Ruhe seine Gedanken aussprechen und erzählen kann.
Vielleicht ist es dir auch schon so gegangen, dass du jemandem etwas erzählt hast und in dem Moment klang das Ganze sehr offensichtlich, aber das war es auch für dich erst in dem Moment, als du es laut ausgesprochen hast und berichten durftest?
In unserem Gehirn sortiert sich vieles, wenn wir es laut aussprechen und jemanden haben, der aufmerksam zuhört.
Es sortiert sich aber nicht, wenn die Schilderung ständig unterbrochen wird, in dem der andere seine eigene Story zum Besten gibt. Zu dem Zeitpunkt ist es also total kontraproduktiv, seine eigenen Erlebnisse zu schildern und du solltest zusehen, dass du mit deiner Aufmerksamkeit beim anderen und SEINER Geschichte bleibst.
Wenn du nachfragst, mach es am besten mit W- Fragen, also: Warum? Wie? Wann? Weshalb? Was? Wer?
Und dann WARTE die Antwort ab.
Das ist schon der ganze Trick:
- Jemandem aufmerksam zuhören
- mit W- Fragen offene Fragen stellen, die die Gedanken des anderen nicht schon begrenzen, sondern ihnen Raum geben (Wenn ich jemanden frage: "Dann hast du dich doch bestimmt sehr wütend gefühlt?" beschäftigt sich sein Gehirn sofort damit und ist beim Thema Wut und nicht bei dem, was es eigentlich beschäftigt hätte. Bei "WIE hast du dich dabei gefühlt?" kann das Gehirn viel freier nach dem tatsächlichen Gefühl suchen und dem auf die Spur kommen.)
- Warten bis jemand zu Ende geredet hat
- Eigene Lösungen als eigene Lösungen kennzeichnen
Das ist übrigens ziemlich anstrengend. Unser Ego plaudert viel lieber über uns als sich mit anderen auseinanderzusetzen. (Gespräche werden meist dann als gut empfunden, wenn wir mehr geredet haben als der andere, leider geht das beiden Gesprächspartnern so.)
Das Gehirn lässt uns auch immerzu eigene Erlebnisse in die Erinnerung einschießen, wenn wir zuhören.
(So funktioniert nun mal empathisches Verhalten, siehe dazu auch den Artikel "Selbsthilfegruppen- Hilfreich? Schädlich?)
Wenn wir es schaffen, das zur Seite zu packen, dann können wir dem anderen helfen, zu einer für sich guten Lösung zu kommen.
Jeder Mensch muss die Lösung für sich selbst finden, das kann ihm niemand abnehmen.
Wenn dir also jemand ein Problem schildert und wie ein Paket vor dich hinstellt, solltest du es nicht aufnehmen und zu deinem Problem machen. Es ist sein Paket und nur er kann es aufmachen oder entsorgen. Er muss Verantwortung für dieses Paket übernehmen.
Du hast deine eigenen. Und du kannst durchaus erzählen, wie du mit ihnen fertig geworden bist.
Aber das waren deine eigenen Pakete mit vielleicht anderem Inhalt.
Und zum Schluss noch eine Bemerkung, weil das immer mal wieder Thema in Freundschaften ist:
Wenn in einer privaten Beziehung jemand die Aufmerksamkeit von anderen über einen langen Zeitraum immer wieder völlig in Beschlag nimmt mit seinem Problem, dann DÜRFEN die anderen davon genervt sein. Eine Freundschaft ist keine therapeutische Beziehung. Dann sollte derjenige wirklich zu einem Profi gehen, der dafür bezahlt wird und ausgebildet ist, sich während eines Gesprächs nur um den anderen zu kümmern.