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Schäm dich!!! (nicht)

Ist dir schon mal etwas total peinliches passiert? Hast du während einer Beerdigung in einem besonders andächtigen Moment laut gepupst? Ist herausgekommen, dass etwas, wovon du felsenfest überzeugt warst, schlicht falsch ist? Hat jemand ein Geheimnis von dir verraten und du befürchtest nun negative Konsequenzen?

 

Sprich: Hast du dich schon einmal so richtig für etwas geschämt?

 

Dann Willkommen im Club! 

Sich schämen ist eine zutiefst menschliche Eigenschaft, aber es gehört auch zu den schlimmsten Gefühlen, die man so haben kann. 

Ich möchte dir in diesem Artikel aufzählen, warum Scham für uns so schlimm ist, was mit uns passiert und auch Tipps geben, wie man besser mit diesem Gefühl umgehen kann. Also los:

 

Besonders häufig schämen wir uns

 

1. für unseren Körper, das kann so weit gehen, dass wir uns kaum auf ein Gespräch mit jemanden konzentrieren können, weil wir uns für etwas an unserem Körper so genieren, dass wir damit beschäftigt sind, dies möglichst zu verbergen und uns vorstellen, dass die andere Person darüber abwertend denkt

 

2. Identitätsscham, ein Beispiel dafür wären weinende Männer, oder immer, wenn unser Selbstbild mit unserem Fremdbild nicht zusammen passt

 

3. Statusscham: Wenn wir unseren Status verlieren, das kann passieren, weil wir unseren Job verlieren oder innerhalb einer sozialen Gruppe gedemütigt und gemobbt werden

 

Die Bandbreite, wann wer was als beschämend empfindet, ist riesig. 

 

Es gibt die Menschen, die unbefangen allen anderen über ihre Krankheiten, sexuelle Vorlieben und Kindheitstraumata erzählen können und die, die sich schon wegen eines Pickels am Kinn Zuhause einschließen möchten und alles dazwischen.

Es kommt stark auf die Persönlichkeit des Menschen, aber auch auf die Umwelt, in der er lebt, an. 

 

In allen menschlichen Kulturen empfinden Leute Scham, aber die Gründe sind höchst unterschiedlich.

 

Scham empfinden wir dann, wenn wir die für uns geltenden, ausgesprochenen oder unausgesprochenen gesellschaftlichen Regeln verletzt haben. Entweder in der tatsächlichen Situation oder in unserer Vorstellung davon, dass das passieren wird. 

 

Wenn wir Scham empfinden, spielt unser Organismus verrückt. Wir schwitzen, werden rot, versuchen, uns unsichtbar zu machen, der Blick senkt sich... Beim Schämen sind dieselben Gehirnregionen aktiv wie wenn wir um unser Leben fürchten müssen. 

Wenn wir uns schämen werden sowohl der Sympathikus, der in Stresssituationen aktiv wird, als auch der Parasympathikus aktiv, welcher uns eher inaktiv macht und runterfährt. Wir sind also in einem völlig fehlreguliertem Zustand.

Das macht dieses Gefühl so unerträglich: Wir sind gleichzeitig völlig aufgebracht und total gelähmt. 

 

Aber diese Schamreaktion hat etwas Gutes: Andere Menschen können uns ansehen, dass wir uns schämen und das führt dazu, dass sie uns gnädiger beurteilen und wir ihnen sympathischer sind. Wir schämen uns ja meistens dafür, dass wir eine soziale Regel verletzt haben und andere uns dafür (vermeidlich) verurteilen. Da ist es dann ein kluger Mechanismus des Körpers, für ein möglichst mildes Urteil der Gesellschaft zu sorgen. 

 

So weit, so unangenehm... Was kann man also tun, um gegen Schamgefühle, wenn sie uns blockieren und wir richtig unter ihnen zu leiden haben, anzugehen?

 

Erstmal kann man sich für seine Schamgefühle innerlich ein bisschen loben. Denn sie zeigen, dass man kein asozialer, unempathischer Klotz ist, dem die Bedürfnisse oder Gefühle von anderen total egal sind. 

Menschen, die überhaupt kein Schamgefühl besitzen, sind die Reaktionen und auch Gefühle von anderen komplett egal, die kreisen nur in ihrer eigenen Welt. 

 

Und dann kann man folgende Punkte ausprobieren:

 

- Stehe zu deiner Scham. Akzeptiere sie. Benenne sie möglichst offen. Mach sie zum Thema. 

Wie ein Monster in einem Märchen verlieren Schamgefühle ihre Macht, wenn man auf sie zugeht und ihren Namen nennt. Alles, was du in Worte fasst, kannst du viel besser in den Griff bekommen als unausgesprochenes. 

Wenn es dir in der Situation nicht gelingt, dann suche dir später einen vertrauenswürdigen Menschen, mit dem du darüber sprechen kannst. 

 

- Stärke dein Selbstwertgefühl (genauere Hinweise, wie man dies tun kann, stehen im Artikel zu Eifersucht vom 03.07.22) je stärker dein Selbstwertgefühl, desto mehr kannst du zu dir und deinen vermeidlichen Unzulänglichkeiten stehen

 

- Mach dir klar, dass sich andere Menschen fast NIE so sehr für dich interessieren wie du glaubst. Vor allem im jugendlichen Alter ist das wichtig. Da ist die Einschätzung fast immer so, dass sich alle völlig darauf fixieren, was du machst und wie du aussiehst. Die Wahrheit ist aber, dass alle so mit sich beschäftigt sind, dass sie keine Energie für dich übrig haben und Dinge, die dich noch tagelang beschäftigen, schnell vergessen sind.

 

- Wenn du mit Selbstironie und Humor an die Situation herangehen kannst, hast du schon gewonnen. Nichts löst eine angespannte und sich demütigend anfühlende Situation so sehr auf wie Humor. 

Achte mal darauf, wie Comedians ihre Gags anbringen. Fast immer werden an für sich schamhafte Ereignisse erzählt, die dann mit Humor aufgelöst werden. 

Wenn du es schaffst, über dich selbst zu lachen, hat Scham keine Chance mehr.

 

- Überlege dir, wenn du vielleicht nach einer schamhaften Situation Zuhause sitzt und dich dort noch weiterschämst, ob dich das Ganze in einem Jahr noch beschäftigen wird? Wenn das nicht der Fall ist, solltest du dich dann jetzt auch nicht weiter fertig machen. Versuche dir vorzustellen, wie du die Scham aus deinem Körper ziehst, zusammenrollst und in den Müll packst. Weg damit.

 

- Du kannst auch die sozialen Situationen für dich günstig gestalten und den Kontakt zu denen, denen du nicht gefällst, vermeiden. Das hilft auch.

Schaffe dir eine Umgebung, in der du dich nicht mehr schämst, die Person zu sein, die du bist.

 

Denn alle anderen gibt es schon, wir wollen dich so wie du bist!

 

Nachtrag: Wenn dir dieser Artikel nachvollziehbar erschien, möchte ich dich darum bitten, bei Situationen von häuslicher Gewalt zu berücksichtigen, wie unglaublich sich die Betroffenen von häuslicher oder sexueller Gewalt dafür schämen, dass sie dies erlebt haben. Dass sie vielleicht nicht eher etwas gesagt haben. Der Täter oder die Täterin schämt sich meistens viel weniger oder gar nicht.

Die Betroffenen von Gewalt schämen sich fast immer zutiefst, weil ihr Selbstbild und Fremdbild so stark auseinanderklaffen. 

Also halte dich mit allen Urteilen: Warum hat die Person nicht viel früher Hilfe geholt oder die Situation beendet? bitte zurück und signalisiere diesen Menschen, dass sie sich für gar nichts zu schämen brauchen.