Es heißt, dass Angst ein schlechter Berater sei. Was aber tun, wenn sich dieser Berater sehr gemütlich im Oberstübchen eingerichtet hat und nicht vorhat, wieder zu gehen? Und sich besonders lautstark dann zu Wort meldet, wenn man es gar nicht gebrauchen kann?
Angst haben ist eins unserer unangenehmsten Gefühle überhaupt. Dabei hat sie ihre Berechtigung, stell dir mal vor, wie es wäre, wenn du niemals Angst hättest. Du stellst dir das ganz toll vor? Hmmm, vielleicht ist es das, aber die Wahrscheinlichkeit, dass du lange überleben würdest, ist nicht sehr hoch.
Also sag mal eben Danke zu deiner Angst, denn sie will eigentlich nur dein Bestes und dich beschützen.
Da sie ihren Auftrag manchmal aber zu ernst nimmt und uns lähmt und leiden lässt, ist es gut zu wissen, wie man die Angst dann in den Griff bekommen kann.
Hier also ein paar Gedanken zum Thema Angst und ängstlich sein...und welche Möglichkeiten es gibt, sich zu beruhigen:
Zunächst einmal ist es gut, grob zu verstehen, warum wir überhaupt Angstgefühle haben.
Wenn du Angst haben kannst, bedeutet es erstmal, dass du einen funktionierenden Mandelkern in deinem Gehirn hast. Ohne könntest du nämlich keine Angst haben. Dieser Mandelkern, auch Amygdala genannt, spielt eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Angst.
Dies ist der Bereich in deinem Gehirn, der blitzschnell Situationen bewertet und dann Emotionen erzeugt.
Deswegen nützt es dir, wenn du zum Beispiel Höhenangst hast, gar nichts, wenn dir jemand vorher genau erklärt, dass es grade vollkommen ungefährlich ist, in einen großen Abgrund zu gucken und dir nichts passieren kann.
Wenn du am Rand stehst und siehst, wie steil es abwärts geht, feuert deine Amygdala aus vollen Rohren und setzt eine Hormonausschüttung in Gang, die im gesamten Körper Reaktionen auslöst.
Weil dies ein Bereich des Gehirns ist, der eben nichts damit zu tun hat, etwas verstandsmäßig zu begreifen.
Also muss man bei der Angstbewältigung genau da ansetzen: Es muss erstmal darum gehen, dass man lernt, den Mandelkern schnell wieder zu beruhigen!
1. Dabei kann häufig geübte Achtsamkeitsmeditation sehr helfen. Darauf möchte ich unbedingt hinweisen! Wenn du mit vielen Ängsten zu kämpfen hast, kann ich dir nur empfehlen, dich diesbezüglich entsprechend zu informieren und am Besten einen Kurs mitzumachen.
Da du dir aber wahrscheinlich eine schnellere Lösung wünschst, würde ich dir in Angstmomenten eine tiefe Bauchatmung vorschlagen.
2. Atme ganz tief und bewusst über die Schlüsselbeinatmung, die Brustatmung in den Bauch, bis ganz tief nach unten in den Bauchraum, so tief, dass du denkst, nun geht aber keine Luft mehr in die Lungen durch die Nase ein. Zähle dabei bis vier. Nun halte die Luft in deinen Lungen, zähle bis sieben. Und dann atme ganz langsam durch den Mund wieder aus. Lass die Luft aus deinem Bauch, der Brust, dem Schlüsselbeinbereich wieder ausströmen. Wenn du denkst, du hast ganz ausgeatmet, versuche, noch mehr auszuatmen. Dann verharre wieder ein bisschen, zähle diesmal bis acht, und dann atme wieder ganz tief ein. Und dann wieder aus. Lege besonders viel Wert darauf, auszuatmen.
Und nochmal, und nochmal.
Mach das mindestens fünfmal.
Du kannst auch ganz normal einatmen und besonders gründlich ausatmen, wenn das besser für dich ist. Probiere es aus.
So, nun hast du deinem Körper unmissverständlich mitgeteilt, dass es sich nicht um eine lebensbedrohliche Situation handelt.
Weil es nämlich angesagt ist, in lebensbedrohlichen Situationen schnell und flach zu atmen. Und das tust du ja nicht.
Also kann es alles gar nicht so schlimm sein.
Denkt dein Körper, informiert die Amygdala und diese beruhigt sich wieder.
3. Was noch hilft, ist die bedrohliche Situation immer wieder und wieder zu üben und sich ihr auszusetzen. Dann merkt die Amygdala irgendwann, ach, das wieder, da passiert jetzt gar nichts schlimmes, ich kann mich beruhigen.
Weißt du noch, wie aufregend es war, etwas zum ersten Mal zu tun? Vielleicht bei einer neuen Arbeitsstelle anzufangen oder zu einer neuen Schule zu gehen? Nach zwei Jahren ist es einfach nicht mehr so aufregend, dorthin zu gehen. Du hast dich daran gewöhnt. Und dies sehr oft schon viel früher als erst nach zwei Jahren.
(Wenn du auch nach zwei Jahren immer noch die gleiche Angst hast zur Arbeit zu gehen, dann solltest du dir professionelle Hilfe holen oder die Stelle wechseln. Dann ist das nicht der richtige Job für dich oder vielleicht hast du auch eine generelle Angststörung, die sich aber mit Angeboten aus der Verhaltenstherapie unter Anleitung gut behandeln lässt.)
Diese Übung hat übrigens bereits der berühmte Dichter Goethe angewendet, um seine Höhenangst zu überwinden: Er stieg um das Jahr 1770 in kurzen Abständen immer wieder auf das Salzburger Münster (142 m hoch) und setzte sich der Höhe aus, bis er seine Höhenangst los wurde. Er hat sich sozusagen erfolgreich selber therapiert.
Wenn du die reale Situation nicht ständig üben kannst, dann kannst du dich mental darauf vorbereiten. Gehe in Gedanken immer wieder durch, wie du diese Situation erlebst, atme tief ein und aus und stelle fest, dass du es schaffen kannst.
4. Angst kommt nicht von ungefähr vom Wort Enge.
Und deshalb hilft uns alles, was in uns das Gefühl von Weite erzeugt, unsere Angst aufzulösen.
Nun kann man in Angstsituationen nicht immerzu mal eben schnell ans Meer fahren und auf den Horizont gucken. Aber den Blick in den Himmel zu richten, kann schon helfen. Sich innere Bilder von Weite ins Gedächtnis rufen. Dabei wieder tief atmen.
5. Ermutigung
Wenn du immer wieder unter Ängsten leidest, nagt das an deinem Selbstwertgefühl. Du richtest den Fokus auf all das, was für dich schwierig oder sogar unmöglich ist. Um dieser Wahrnehmung entgegenzuwirken, solltest du dir immer wieder deine ganzen Erfolge aufzählen! Alles, was du bereits erreicht hast! Was du dich getraut hast! Was du alles kannst!
Das alles kannst du dir gar nicht oft genug in Erinnerung rufen!
Ob wir eher ängstlich sind oder nicht, hat sowohl mit unserer Erziehung als auch mit unserer genetischen Grundausstattung zu tun. Wenn uns in der Kindheit vermittelt wurde, dass die Erde grundsätzlich ein potentiell gefährlicher Ort ist (oder es tatsächlich so war) übernehmen wir eine gewisse Grundängstlichkeit, die höher ist als bei unbesorgt aufgewachsenen Kindern.
Aber es ist auch so, dass zwei Menschen, die unter den gleichen Umständen aufgewachsen sind, ganz unterschiedliche Ängstlichkeit zeigen können.
Auch hier war es in unserer Evolutionsgeschichte klug, sowohl diejenigen zu haben, die wenig ängstlich waren und viel probiert haben und sich gerne potentiell gefährlichen Situationen gestellt haben. Sie haben damit die Gruppe vorangebracht. Die haben das wahrscheinlich gerne gemacht. Denn das hat ihnen so einen gewissen Kitzel gegeben.
Und dann gab es noch die anderen, die jede Gefahr sofort spüren konnten- und damit auch die anderen warnen konnten, was auch sehr klug fürs Überleben von allen war.
Noch heute mögen manche Menschen Horrorfilme, wilde Achterbahnfahrten, immer mal wieder was Unbekanntes entdecken, einfach einen gewissen Nervenkitzel erleben, weil dieses Gefühl etwas angenehmes und wohltuend Aufregendes erzeugt. Sie haben grundsätzlich ein eher niedriges Erregungsniveau und brauchen heftigere Reize.
Andere brauchen sich nur vorstellen, dass sie das Haus verlassen müssen und dies reicht ihnen, dass ihr Herz anfängt zu rasen. Diese Personen haben ein sehr hohes Grund- Erregungsniveau.
Eigentlich sind die Leute der zweiten Kategorie die wahrhaft Mutigen.
Denn für die anderen gehört ja gar kein Mut dazu, in den Abgrund zu gucken oder das Haus zu verlassen, die finden das höchstens interessant.
Aber die anderen müssen ihre ganze Selbstkontrolle aufbieten, um sich der Situation zu stellen.
Und das bedeutet mutig sein.
Nachtrag:
Wer traumatisierende Erfahrungen gemacht hat, bei dem hat sich durch das Traumata die Amygdala quasi verändert. Sie reagiert, besonders auf Triggermomente, also wenn das Trauma reaktiviert wird, überschießend. Es ist dann ein langer Prozess, um wieder zu lernen, sich zu beruhigen. Da helfen dann konkrete Achtsamkeitsübungen in einer Paniksituation wie "Was sehe ich grade? Was höre ich grade? Was fühle ich? Was schmecke ich? Was rieche ich grade?", um von der Traumasituation wieder zurück in die Gegenwart zu finden.