Wir kommen noch nicht mit der Fähigkeit, außerhalb der Gegenwart denken zu können, zur Welt. Für ein Neugeborenes ist erstmal alles Gegenwart: Wenn es sich einsam fühlt, ihm kalt ist oder es Hunger hat, kann es sich noch nicht mit der Vorstellung trösten, dass in einer halben Stunde schon Hilfe kommen wird. Es muss sich sofort bemerkbar machen.
Also hat unsere Fähigkeit, uns gedanklich die Zukunft vorstellen zu können, auch das Konzept der Hoffnung gebracht und das ist etwas Elementares und hilft uns ganz entscheidend, Schwierigkeiten durchzustehen.
Und deshalb ist es durchaus klug, bei allem Achtsamkeitstraining, welches uns hilft, uns die Gegenwart bewusst zu machen, auch das Positive aus Vergangenheit und Zukunft zu nutzen. Aber auch zu erkennen, wann uns der gedankliche Aufenthalt dort nur Stress bereitet und dies dann zu beenden.
Wann tun diese gedanklichen Zeitreisen uns also gut und wann schaden sie uns eher?
DIE VERGANGENHEIT:
"Ich weiß noch genau, wie sie damals da stand und mir ins Gesicht sagte..." Überlege mal, ob es eine oder mehrere Geschichten aus deiner Vergangenheit gibt, die dich so gekränkt oder geärgert haben, dass du sie immer wieder erzählst oder sie immer wieder in deine Gedanken kommen?
Die Situation ist längst vorbei, die betroffene Person erinnert sich gar nicht mehr daran, aber in dir kommt das nicht zur Ruhe?
Du kannst dich fragen, ob dieses Festhalten an der Vergangenheit für dich grade einen Nutzen hat?
Wenn ja, welchen denn?
Oder ob es dich eigentlich einfach nur immer ärgert?
Das wäre sehr ungünstig. Denn dann schafft es dieses Ereignis oder die Person, dich immer noch in Besitz zu nehmen und hat sehr viel Macht über dich.
In dem Fall wäre es wohl besser, wenn man sich klarmacht, was die Vergangenheit ist: Nämlich die Vergangenheit.
Passiert, nicht mehr da. Vergangenes ist vergangen und kommt nicht mehr wieder und kann auch nicht mehr verändert werden. Wenn du daraus deine Lehren ziehen willst, dann ist diese Verbesserung nur in der Gegenwart möglich, denn es gibt keine Zeit-Maschine, die dich wieder zurückbringt.
Gib der vergangenen Situation oder Person nicht so viel Macht über dich, dass sie nun auch noch deine Gegenwart versauern darf!
In solchen Momenten, wenn du merkst, dass das wieder passiert, konzentriere dich ganz bewusst auf die Gegenwart:
> Atme tief durch, (atmen funktioniert da super, weil man nur in der Gegenwart atmen kann, man kann nur sehr, sehr begrenzt auf Vorrat atmen)
>und achte auf deine Gegenwart:
Was siehst du?
Was hörst du?
Was riechst du?
Was fühlst du JETZT? Damit holst du dich in die Gegenwart zurück!
Aber natürlich haben wir auch schöne Erinnerungen, an die wir gerne denken. Die darfst du gerne nutzen, in diesen Gedankenpalast voller wertvoller Erinnerungsstücke an positive Erlebnisse darfst du immer wieder reisen.
Aber pass auf, dass dich dabei nicht die Traurigkeit überkommt, dass diese Zeiten nun vorbei sind. Dann hätte nämlich die Vergangenheit ihre zweite, verstecktere Möglichkeit gefunden, dir Leid zuzufügen. Dann erinnerst du dich nämlich an all das Tolle damals und versaust dir die ganzen tollen Möglichkeiten, die du grade jetzt hast; weil du sie gar nicht mitbekommst.
Manche Menschen können sich scheinbar immer nur über Dinge freuen, wenn sie zurückliegen und gar nicht dann, wenn sie passieren. Und dann immer mit dem Schmerz, dass sie ja nun vorbei sind. Wenn du auch dazu neigst, dann versuche, dich bewusst in der Gegenwart aufzuhalten und die Vergangenheit dort zu lassen, wo sie ist:
Im Land Früher, was real nicht mehr existiert.
Übrigens ist auch der Zusammenhang zwischen schlimmen Erinnerungen und momentanen Problemen nicht so linear, wie man das in der Psychologie immer geglaubt hat. Inzwischen wissen wir, dass sich Menschen, wenn es ihnen aktuell schlecht geht, auch viel eher an schlimme Ereignisse aus der Vergangenheit erinnern. Und Leuten, die grade aktuell glücklich sind, viel eher Zugriff auf schöne Erinnerungen haben. Da ist Ursache und Wirkung nicht so kausal wie wir immer glaubten.
Die Gegenwart bestimmt also maßgeblich unsere erinnerte Vergangenheit.
Aber nun gucken wir uns unseren nächsten Stressfaktor- oder Hoffnungsgeber an, je nach dem:
DIE ZUKUNFT:
"Wenn ich erst das oder jenes geschafft habe...", "Wenn das endlich vorbei ist, dann..." Wir alle kennen solche Gedanken. Und wie beim Eingangsbeispiel mit dem Neugeborenen ist es sehr hilfreich, dass wir uns vorstellen können, dass etwas sehr Unangenehmes auch wieder aufhört.
Mit drei bis vier Jahren entwickeln Kinder das erste Zeitgefühl, können verstehen, dass etwas morgen passieren wird. Ab fünf wächst dann die Vorstellung von Zahlen und Mengen und damit entsteht nach und nach das Zeitgefühl und das Verständnis, dass sie selber später einmal größer und älter werden.
Und damit entwickeln wir die Fähigkeit auf eine veränderte, also auch potentiell positive, Zukunft zu hoffen und darauf hinzuarbeiten. Und das ist erstmal ganz prima, weil wir so Pläne machen und längerfristig an einem Ziel arbeiten können. Und manche Projekte müssen eben langfristig angegangen werden, damit sie letztendlich Gestalt annehmen. Oder bei Krankheiten ist dieses Prinzip Hoffnung sehr hilfreich.
Schwierig wird es aber dann, wenn wir unsere positiven Erlebnisse immer in die Zukunft legen. Wenn wir in einem Urlaub sind und über nichts anderes reden als den nächsten Urlaub und die schönen Erlebnisse im Jetzt völlig verpassen.
Denn unsere Zukunft ist ungewiss. Leider kann dir kein Mensch garantieren, ob du sie erleben wirst. Auch die Zukunft ist ein Land, welches nicht wirklich existiert, nur in deiner Vorstellung.
Auch können dich die scheinbar unendlichen Möglichkeiten und damit auch die große Chance, etwas falsch entschieden zu haben, total blockieren.
Wenn dich die Zukunft und die ganzen Pläne und was noch alles zu machen ist, DAMIT ES ENDLICH SCHÖN WIRD, stresst, dann komme mit der oben beschriebenen Übung in die Gegenwart zurück.
Wenn du merkst, dass 80% deines Ärgers und deiner Sorgen in Vergangenheit und Zukunft liegen, dann setze genau da an:
Die Vergangenheit ist vorbei und nichts wird sie zurückholen und je schneller du damit deinen Frieden machst, umso besser. Und die Zukunft ist noch nicht da. Die Zukunft ist NIE da.
Hast du alles aus deiner Vergangenheit gelernt, was wichtig war? Genießt du die schönen Erinnerungen ohne Wehmut?
Hast du alles wirklich Wichtige für die Zukunft geplant und in die Wege geleitet? (Das kann auch bedeuten, dass du vor Feiertagen noch mal einkaufst.)
Dann lass beides schleunigst los und genieße mit allen Sinnen, die du hast, die Gegenwart.
Es ist die einzige Zeit, die existiert.